Derzeit gibt es ein Land auf der Welt, das ganz klar den Sport des Gewichthebens dominiert. Nein, ich meine nicht Russland, Bulgarien oder Rumänien. Schon gar nicht Deutschland oder die USA. Ich rede von China. Jahrzehnte lang dominierten die ehemaligen Ostblockländer den Sport, doch „die neue Weltmacht“ kämpft sich an die Spitze. Unglaublich Flexibilität, starke Beine, maximale Präzision und athletische Körper zeichnen chinas Athleten aus. In diesem Artikel seziere ich den Aufstieg chinesischer Gewichtheber, wie sie trainieren und welche Methoden sie benutzen, um so erfolgreich zu sein. Wo Men Qu Ba!
Warum ist China so erfolgreich in Gewichtheben?
Zuerst sollte gesagt sein, dass China natürlich eher die leichteren Gewichtsklassen im olympischen Gewichtheben dominiert. Das hängt mit ethnisch-biologischen Gründen zusammen – salopp gesagt sind Chinesen im Durchschnitt einfach kleiner und dementsprechend leichter.
Der wahrscheinlich größte Faktor in der Antwort auf die Frage „Wieso ist gerade China (heutzutage) so erfolgreich im Gewichtheben?“ ist der des Genpools. Tausende von Kindern werden jährlich gescoutet – aus allen sozialen Schichten. Gerade aus Kinder aus ärmeren Verhältnissen haben sich bewährt, denn sie können schwere Strapazen eher durchstehen.Für chinesische Kids ist es eine Chance in eine höhere soziale Schicht aufzusteigen – dafür widmen sie den Großteil ihres Lebens dem Sport.
Chinesische Nachwuchslifter verlassen mit 10-11 Jahren ihr Zuhause und leben in „Trainingscamps“, mit der Hoffnung in Zukunft zur sportlichen Elite des Landes zu gehören. Das Leben in diesen Camps bringt natürlich viele sportliche Vorteile mit sich: 100% Kontrolle über alles, was die Athleten machen. Die Tagesabläufe (mehr dazu im nächsten Kapitel, sind perfekt abgestimmt. Chinesische Gewichtheber bekommen, ähnlich wie andere olympisch-professionelle Sportler in China, ca. 10.000USD im Jahr bezahlt – das 10 Fache einkommen eines durchschnittlichen Einwohners. Dazu wird auch Unterkunft, Training, Essen und Bildung bezahlt. Im Durchschnitt dauert es 8-10 Jahre einen männlichen Champion zu „heranzuziehen“ und 5-8 Jahre für weibliche Champions.
Natürlich spielt auch Politik eine große Rolle, denn sportlicher Erfolg in internationalen Wettkämpfen schafft Empathie und Begeisterung für eine Kultur. Dies weiß natürlich auch die chinesische Regierung, die deshalb viel Geld in die Förderung des Sports steckt. Und hier kommen wir einer Grundvoraussetzung für sportlichen Erfolg auf die Spur: Förderung. Nur, wenn ein Sport die finanziellen und strukturellen Mittel bekommt eine Generation an Athleten aufzubauen, kann ein Land in diesem Sport auf breiter Basis erfolgreich sein. In z.B. Russland und China werden Kinder schon vom jungen Alter auf gepusht und gefördert. In diesem Ländern ist Gewichtheben ein anerkannter Sport, mit Veranstaltungen, die tausende in Stadien zieht. Nur so kann ein Sport und im Endeffekt ein Land erfolgreich sein!
Der Bund zwischen Coach und Athlet ist unglaublich stark. Die Beziehung ähnelt der zwischen Vater und Tochter / Sohn. Das geht so weit, dass bei internationalen Wettkämpfen, z.B. die olympischen Spiele, die Athleten noch nicht mal wissen welches Gewicht sie heben. Sie vertrauen ihrem Coach zu 100% dass er eine machbare Nummer aufsetzen lässt – oder sie eben zu einem neuen PR pusht.
Der Erfolg chinesischer Gewichtheber hat multiple Gründe, hängt aber stark mit früher, langzeitiger und professioneller Förderung zusammen. Athleten durchlaufen ein sehr hartes Training, das schwächere früh aussiebt und somit nur absolute Spitzentalente zulässt.
Wie sieht ein typischer Tagesablauf chinesischer Gewichtheber aus?
Im Alltag professioneller Gewichtheber ist alles außer Training, Essen und Erholung verboten.
6:30 Aufstehen und Warmup
8:00 Frühstück
10:00 erstes Training
13:00 Mittagessen
14:00 Mittagsschlaf
15:00 zweites Training
17:00 „Recovery“: Massagen, Sauna, Physiotherapie, etc.
19:00 Uhr Abendessen
22:00 Schlafenszeit
Wie trainieren chinesische Gewichtheber?
Laut einiger Quellen setzt sich das chinesische Gewichthebersystem aus dem System der Amerikaner der 50er, der Russen der 70er und der Bulgaren der 80er Jahre zusammen. 10 Übungen werden als „Technik“ aufgeführt, 10 als „Kraft“.
Technik: Hang/ Power + Snatch, Hang / Power + Clean, Jerk vom Rack, Jerk Recovery, Drop Snatch und Power Jerk.
Kraft: Front / Back Squat, Clean / Snatch Pull, Clean / Snatch Deadlift, Jerk Dip, Halb-Squat, Schulterdrücken und Push Press.
Ich persönlich finde diese Aufteilung sehr interessant, da ich z.B. Jerks Dips oder Push Press nicht als Kraft klassifizieren würde – aber was weiß ich schon ;-).
Interessant: Diese Kraftübungen werden in gewissen Verhältnisse gesetzt, d.h. zum Beispiel dass, wenn man 70kg schulterdrücken kann, aber 160kg jerken, die Beine sehr Stark sind, aber die Arme nicht. Insofern besteht eine Schwäche, an der man arbeiten muss. Folgende Ratios habe ich gefunden:
- Schulterdrücken: Jerk sollte ca. 70kg stärker sein
- Push Press: Jerk sollte 35-40kg stärker sein
- Power Jerk: Jerk sollte 20kg stärker sein
- Front Squat: Jerk sollte 30kg darunter sein
- Back Squat : Clean & Jerk sollte 50kg darunter sein
- Power Clean = Snatch
Ob du diesen Ratios folgst oder nicht sei dir überlassen. Ich persönlich denke, dass noch eine individuelle Komponente dazukommt, die es schwer macht diese Verhältnisse für alle Athleten geltend zu machen.
Pausen zwischen den Sätzen sind erstaunlich kurz – oft nur 1-2 Minuten im Vergleich zu den 3-5 Minuten, die in westlichen Ländern oft eingehalten werden.
Chinesische Gewichtheber haben oftmals äußerst starke Beine / Rücken. Dies hängt aber weniger mit einem spezifischen Squat-Programm zusammen, sondern viel mehr mit gezielter Bekämpfung von Schwächen. Mittelstarke Athleten beugen 3-4xWoche, meistens mit maximal 3 Wiederholungen. Damit befinden wir uns im normalen Kraftaufbaubereich (1-3 Reps). Laut Berichten (Quellen findest du weiter unten) squatten einige Athleten jedoch auch in Wiederholungsbereichen von 8-10, wenn es dem Athleten hilft Schwächen auszumerzen.
Einer der größten Unterschiede zu anderen Ländern in der Methodik, ist der breite Einsatz von Bodybuilding im chinesischen Gewichtheben. Um Athleten stark zu machen und Schwächen zu bekämpfen, nutzen Chinesen Übungen, wie Latziehen, Curls, Bauchübungen, etc.Nach jeder Session werden 2 Zusatzübungen absolviert (4-5 Sets, 8-10 Reps). Bauchübungen und Handstand Pushups normalerweise bis nichts mehr geht. Außerdem gehen sie mehrmals die Woche joggen, um auch das aerobe System zu trainieren.
Die meisten Sportler heben 8-12xWoche und trainieren je einen Lift pro Tag (Snatch oder Clean & Jerk). Nur Freitags werden beide Lifts trainiert. Genauso werden Pulls und Squats von Tag zu Tag abgewechselt. Die Intensität wird oft für 1-3 Wochen sehr hoch gehalten, worauf 3-4 leichte Tage zur Erholung / Deload folgen.
Beim Training wird sehr viel Wert auf korrekte Ausführung und Tempo gemacht. Dabei ist die Idee – wie beim Gewichtheben üblich – den ersten Pull / Zug eher langsam auszuführen und erst ab den Knien (wenn die Langhantel über den Knien steht) Geschwindigkeit reinzubringen. Es wird prinzipiell zwischen absoluter und Schnellkraft differenziert und beides trainiert.
Für die nötige Schulterstabilität bzw. –Kraft trainieren chinesische Heber 3xWoche gezielt Schulterdrücken, Push Presses und natürlich Jerks – meistens im Bereich von 3 Wiederholungen. Interessanterweise machen sie auch Single Arm Dumbbell Presses im Bereich von 8-10 Wiederholungen (4-5 sets) und Handstand Pushups.
Es wird auch viel Fokus auf Flexibilität und Mobility gelegt. Täglich wird sich gestretched, ausgerollt, etc. Erholung spielt generell eine große Rolle im chinesischen Gewichthebersystem. Dazu gehört, wie gesagt, Sauna, Massagen und auch Saugglocken-Therapie.
Wie sieht ein typischer Trainings-Split bei chinesischen Gewichthebern aus?
Dieser Plan ist natürlich rein exemplarisch und gilt nicht für alle chinesischen Gewichtheber. Wie bereits beschrieben, kommt der Trainingsplan auf den individuellen Athleten an, aber das hier sollte dir eine Idee vom chinesischen Training geben:
Montag
-Morgens
Power Clean + 3 Push Press
Schwere Backsquats – 3 Reps
Accessory Work
-Abends
Clean + 2 Jerks (bis 90%)
Clean Pulls – 3 Reps, 5-6 Sets (110-115%)
Accessory Work
Dienstag
-Morgens
Muscle snatch – 2 Reps
Front Squat – 3 Reps
Schulterdrücken – 3-5 Reps
Accessory Work
-Abends
Snatch – 2 Reps (80-85%)
Snatch Pulls – 3 Reps (80-85%)
Snatch Zusatzarbeit – Hangs oder Complexes
Accessory Work
Mittwoch
Clean & Jerk (80%)
Clean Pulls – 2-3 Reps
Jerk Dips
Donnerstag
Zusatzarbeit oder andere Sportarten
Freitag
Max Day – Je nach Fokus wird eine Übung schwerer oder leichter gehoben
Samstag
Power Clean + Push Press
Clean Pull
Schwere Backsquats – 3-5 Reps
Sonntag
Ruhetag
Wie ernähren sich chinesische Gewichtheber?
Chinesische Gewichtheber essen im Durchschnitt 3 Mahlzeiten pro Tag. Die Meisten Mahlzeiten bestehen aus Fisch, Reis und Gemüse. Einen Tag in der Woche trinken sie (ein bisschen) Alkohol, meistens bevor Ruhetagen.
Die Diät richtet sich ungefähr nach High Protein, High Carb, Low Fat. Dabei werden aber keine Strengen Richtlinien an die Menge gemacht. Wahrscheinlich weil das Volumen so hoch ist, dass keine große Gefahr besteht dass sich Athleten „überfressen“.
Quellen
https://www.wsj.com/articles/SB121824136943426125
https://www.bethefittest.co.uk/fitness-blog/chinese-weightlifting
My Chinese Weightlifting Experience – Intro, Programming and Theory
Larry’s Chinese Weightlifting Experience Part 1 – Snatches & Squats
Michael sagt:
Hi Kevin,
wieder ein super Beitrag von Dir.
Sehr interessant und gleichzeitig auch etwas pervers. 10-11-jährigen den kompletten Lebensweg vorzuzeichnen, lässt sich mit unserer Kultur nur schwer vermitteln. In China hingegen wird darüber kaum jemand die Nase rümpfen.
Gruß Micha
Kevin sagt:
Hi Micha,
vielen Dank für das Lob! Ich denke diese harte Rekrutierung kommt mit einem Zwist daher, denn durch die professionelle Laufbahn steigen viele Athleten in eine höhere soziale Schicht auf und verbessern oftmals den Lebensstandard ihrer gesamten Familie. Immerhin haben sie hier die Wahl und werden nicht dazu gezwungen.
Gruß
Kevin
Jing Yi sagt:
Ein guter Beitrag und an manchen Stellen mehr Information als manch chinesischer Gewichthebelehrer dir geben kann. Ich möchte etwas kleines dazu ergänzen.
Dass den jungen Gewichthebern den Lebensweg vorgeplant wird stimmt keinesfalls. Nur die wenigsten entscheiden sich später für eine professionelle Gewichtheber Karriere.
Der Grund warum Kinder (oder ihre Eltern entscheiden) mit dem Gewichtheben anzufangen ist um anschließend in die Hochschule gehen zu können. In China gibt es zwei Wege um auf eine Hochschule zu gelangen. Der übliche Weg ist über gute Abschlußnoten, was verdammt schwer ist in China. Um einen Studienplatz zu bekommen muss neben der Bewerbung an der Hochschule erneut eine Aufnahmeprüfung abgelegt werden was ebenfalls sehr schwer ist.
Hier kommt der alternative Weg des Sportlers ins Spiel. Viele Hochschulen bieten eine Art „Sportler Aufnahme Prüfung“. Der Bewerber wird in der Leistung seines Sportes bewertet (im unseren Fall Reisen und Stoßen). Der Bewerber muss dann zusätzlich noch eine Aufnahmeprüfung absolvieren, die jedoch deutlich leichter ist.
Zurück zur Gewichtheberschule (ich mag den Begriff Trainingscamp nicht). Wenn ein Gewichthebelehrer Schüler aufnimmt ist er verpflichtet für Wohnung, Verpflegung und Bildung zu sorgen. Die Kinder gehen vormittags zur (Grund- Mittel-)Schule und Nachmittags findet ein Training statt. In der Ferien wird zwei mal am Tag trainiert.
Nach der Gewichtheberschule (, die Kinder sind jetzt 18 und haben das chinesische Abitur abgeschlossen) ist der übliche Weg auf die Hochschule zu gehen. Einige wenige, äußerst Begabte haben die Chance in der Provinzmannschaft weiterzutrainieren. Dort bekommen Sie als Athleten auch einen Gehalt. Auch unter den Äußerst Begabten entscheidet sich nicht jeder für eine Gewichtheberkarriere.
Im folgenden ein reales Beispiel: A und B haben beide an der selben Gewichtheberschule 5 Jahre lang trainiert. Sie sind beide 18 und männlich und in der 56kg Klasse. Beide Stoßen 130kg, was außerordentlich gut ist. A findet Gewichtheben viel zu anstrengend und entscheidet sich für die Hochschule. B startet eine professionelle Gewichtheber Karriere. Heute geht A auf die Universität Chengdu und B ist Zhejiang Provinz (Bundesland in Deutschland) Rekordhalter und trainiert in der Provinzmannschaft. B überlegt mit dem Gewichtheben aufzuhören und als Lehrer tätig zu werden.
Kevin sagt:
Hey Jing Yi, vielen Dank für den Einblick. Hast du mal in China gelebt?